Landpartie
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Ich wurde zu einer Landpartie gezwungen und bin dabei gestern zum ersten Mal in China selbst Auto gefahren. Der Gatte musste zu einem Geschäftstermin in den Norden Miyuns, nur leider konnte oder wollte keiner der übrigen am Termin Beteiligten fahren. Tja, wozu habe ich vor zwei Jahren den Führerschein gemacht?
Trotz Erkältung quäle ich mich also morgens früh aus dem Bett und sitze um 7:30 Uhr zum ersten Mal in meiner China-Zeit hier selbst am Steuer. Noch ist es früh, wir fahren außerdem stadtauswärts: alles kein Problem! Dann kommt die erste Herausforderung: Mautstelle auf dem Highway. Naja, in Wahrheit auch nicht anders als in Norwegen, also auch kein Problem. Die Autobahn ist frei, ich geb Gas. Nein, halt, hier ist maximal 120, und das auch nur auf der linken Spur (auf den beiden rechten gilt 100).
Bilderbuch-Herbst
Ich muss mich zum Glück nicht um die Navigation kümmern (Leute, die mich näher kennen: sagt jetzt bitte nichts!) und werde zuverlässig immer weiter Richtung Norden dirigiert. Irgendwann lassen wir Nanshan rechts liegen, bald darauf geht es erst durch einen kleinen Ort (ca. 700.000 Einwohner ;) ), dann auf die Landstraße, die schon bald schmaler wird. Die Berge rücken näher, es geht bergauf und da ist es auch schon: das erste blaue Schild: „Bitte Hupe benutzen.“ Davon mache ich doch gerne Gebrauch! Inzwischen hat sich der morgendliche Dunst verzogen, ab und zu kommt die Sonne raus und bringt die Landschaft zum leuchten. Am liebsten würde ich nach jeder Kurve anhalten und erstmal Bilder schießen, aber wir sind ja nicht zum Vergnügen unterwegs und müssen zu dem Termin. Trotzdem, das rot- und gelbleuchtende Laub an den Berghängen ist atemberaubend! Es geht vorbei an Flüssen und Seen, und spätestens nach dem dritten Serpentinenabschnitt denke ich: Hier möchte ich Motorrad fahren! (Der Gedanke hat sich jetzt im Hinterkopf festgesetzt.)
Lost Places
Die Straße wird schmaler, ich werde auf eine noch schmalere Straße gelotst, es geht noch ein paar Mal bergauf/bergab – und dann sind wir in dem kleinen Dorf.
Ein Huhn wackelt vor mir über die Straße. Wir sind so gut durchgekommen (ich schwöre, ich bin nicht gerast!), dass noch etwas Zeit ist und gehen an einem künstlich angelegten kleinen See spazieren. Der sieht auf den ersten Blick total romantisch aus.
Auf den zweiten Blick sieht man, dass die Idylle trügt. Tote Fische am Seeufer.
Dazu die vielen leerstehenden Anwesen: vom Touristenressort bis zum kleinen Bauernhof: trostlos – aber großartig für Lost Place-Fotografie.
Leider habe ich gar nicht die Zeit, um zu entscheiden, ob ich über einen Zaun klettern möchte, denn ich muss die Männer jetzt doch zu ihrem Termin fahren. Auf dem Rückweg zum Auto begegnen uns ein paar Schafe (oder Ziegen? Mir wird klar, warum im Chinesischen 羊 yáng für beides steht), die uns ebenso neugierig angucken wie wir sie.
Geschäftemachen auf Chinesisch
Bisher habe ich von chinesischen Geschäftsterminen nur gehört oder gelesen. Nun war ich live dabei. Um keine Geheimnisse auszuplaudern nur so viel: die Realität ist schlimmer! In den Städten mag es inzwischen anders zugehen, aber im ländlichen China treffen die Schilderungen zu was Esskultur, Baijiu-Konsum und Anzüglichkeiten angeht (und das mir als einziger Frau unter zehn Männern…).
Irgendwann ist es überstanden, alle sind sich einig, dass das ein erfolgreicher Termin war. Ich bin jedenfalls froh, als ich endlich die Baijiu-geschädigten Kerle ins Auto zurück verfrachtet habe. Damit sie auch richtig was von haben, nehme ich die Serpentinen schön schwungvoll… ;)
Je näher wir Peking kommen, umso dichter wird der Verkehr bis wir richtig im Stau feststecken. Auch mein Schleichweg ist verstopft, inzwischen ist es dunkel, jetzt strengt das Fahren schon etwas an. Als ich endlich alle abgeliefert habe und selbst zuhause bin, bin ich ziemlich platt, aber eins weiß ich: ab sofort werde ich mir öfter ein Auto mieten – das soll nicht die letzte Landpartie gewesen sein!
Hallo!
Och, vom Auto hast Du kein Photo gemacht? Sehr schade!
Die Kurven hätte ich mit den beschwipsten Fahrgästen wohl nicht so rasant genommen – zu groß die Befürchtung, daß das Auto entsprechend „dekoriert“ würde. ;-)
Wunderschöne Photos hast Du da gemacht. Und wärst Du bei uns zu Gast in Leipzig, würden wir sehr gerne mit Dir Lost Places aufsuchen und photographieren – da kannst Du Dich mit meinem Liebsten durchaus zusammentun und austoben. Ja, Du wärst eine super Cacherfreundin!
LG,
Timoleon.
Hi,
dankeschön! :) Da werde ich wohl einen Leipzigbesuch mit in die Planung für den nächsten Deutschlandaufenthalt aufnehmen! :)
Das Auto war ein Audi A6L (chinesische Langversion). Zum Geschehen auf der Rückbank sage ich lieber nichts… :D
LG Lin
Du bist hier herzlich willkommen! Gerne auch mit Deinen Jungs – wir haben zwei größere, bequeme Schlafsofas.
LG,
Timoleon.
Hallo
Ich finde es immer spannend im Ausland mit dem Auto selbst zu fahren. Ich finde deinen Bericht sehr cool und ausführlich. Danke dafür !
LG
PS: Das Foto von den Schafen ist genial!
Hallo Daniel,
Danke Dir! :)
Im Ausland selbst Auto zu fahren – in Skandinavien finde ich das total entspannt, in Australien war ich wegen des Linksverkehrs angespannt – aber ging immer alles. Nur wenn mir vor fünf Jahren einer gesagt hätte, ich würde mal in Peking selbst fahren, hätte ich das nicht geglaubt. Tja, nun bin ich da doch irgendwie reingewachsen. Und: ich glaub nicht, dass mich der Verkehr irgendwo sonst auf der Welt noch schrecken könnte.
Cooles Projekt, Eure 193 Challenge – verfolge ich weiter!
LG Lin