Unser 5. Peking-Jahr beginnt

Unser 5. Jahr in Peking hat begonnen. Im Folgenden blicke ich zurück, um mich am Ende auf das Kommende zu freuen!

Damals und heute

Den Kopf voller Ängste und Unsicherheiten und unglaublich aufgeregt sind wir in Peking angekommen. Die Jungs noch im Grundschulalter bzw. gerade aufs Gymnasium versetzt, noch traurig vom Abschied von Geschwistern, Familie und Freunden. Als ob so ein Umzug von einem Kontinent auf den anderen nicht schon aufregend genug wäre, mussten wir ja in Amsterdam auch noch den Flieger verlassen und auf eine Ersatzmaschine warten –  leider ist der Flieger während des Beladens beschädigt worden. Zum Glück wurde das noch am Boden, nicht erst in der Luft bemerkt. Diese extra Aufregung hat aber tatsächlich den Kummer etwas in den Hintergrund gedrängt. Wie meine Freundin immer sagt:

Nichts ist so schlecht, dass es nicht doch noch für irgendetwas gut ist.

In Peking angekommen haben die meisten Befürchtungen sich nicht bestätigt, dafür sind andere Probleme aufgetreten, die ich vorher gar nicht auf dem Zettel hatte.

Die Angst, keine Freunde zu finden, hätten wir alle nicht haben müssen. Und wir haben sogar das Glück, nicht nur „temporäre“ Freunde für die Pekingzeit gefunden zu haben, sondern darüberhinaus haben wir auch neue Freunde fürs Leben gefunden.

Mehr Goodbyes als erwartet

Aber das „temporär“ deutet es schon an: Kein Ausländer ist für immer in Peking, wir sind alle nur begrenzte Zeit hier, früher oder später ist Schluss. Bei den meisten früher, d.h. nach zwei, drei Jahren heißt es Abschied nehmen. Damit hatten wir nun überhaupt nicht gerechnet. Wenn wir an Abschied gedacht haben, war das immer auf Hamburg und Deutschland und die Familie und Freunde dort bezogen. Jetzt ist Juni nicht nur fröhlich, Sommer, Ferienvorfreude – sondern eben auch „Goodbye Season“.

Die Sprache

Ich hatte große Angst, mit meinem erbärmlichen Chinesisch aufgeschmissen zu sein. Was ich nicht erwartet habe: Englisch ist fast noch wichtiger. Zumindest in unserem internationalen Compound und dem auf uns Ausländer eingestellten Umfeld (Supermarkt, Klinik, Restaurants…) war das so. Deutsches Fernsehen? Fehlanzeige. Deutschsprachige DVDs? Nur im Ausnahmefall. Streaming? Funktionierte nach kurzer Zeit nur noch mit neuen, amerikanischen Accounts. Das unerwartete Ergebnis: unser aller Englisch hat sich deutlich verbessert. Die Fortschritte im Chinesischen sind glücklicherweise auch da, aber es lernt sich einfach nicht so leicht wie dem Deutschen verwandtere Sprachen. Was mir aber auch deutlich geworden ist: es ist so wichtig, sich auch mal in der Muttersprache unterhalten zu können, ohne nach Worten suchen zu müssen. Gespräche, in denen man auch zwischen den Zeilen kommunizieren kann, Wortspiele und Doppeldeutigkeiten nutzen (was mir auf Englisch nicht so leicht fällt, auf Chinesisch Fehlanzeige).

Geduld, Gewöhnung, Gelassenheit

Ich hätte nicht erwartet, dass ganz normaler Alltag so zeit- und kraftraubend sein kann.

Es sind nicht nur die weiten Wege, es ist nicht nur, dass man sich oft nur unzulänglich verständigen kann (mit Handwerkern, beim Einkauf…) – vieles ist einfach so komplett anders.

Dass es viele Produkte gar nicht, nicht in der gewünschten Qualität oder nur zu Phantasiepreisen gibt (Milch- und Milchprodukte z.B.) – daran gewöhnt man sich mit der Zeit, findet Alternativen (zum Quark z.B.).

Bei notwendigen Reparaturen wurde oft nicht einfach fix gemacht, sondern erst überlegt, mit weiteren Workern diskutiert, x-mal Rücksprache gehalten und dann wurde im dritten Anlauf erst die Leiter geholt, die man beim ersten Anruf schon angefordert hatte… Drüber aufregen? Wozu? Macht nur vorzeitig Runzeln und ändert eh nichts.

Gut, so manches ist auch komfortabler: Delivery services sind selbstverständlich, sei es im Supermarkt oder von Restaurants. Bezahlbares Taxifahren. Und diese – Didi – per App bestellen zu können, das erspart das Hantieren mit Visitenkarten, wenn das eigentlich inzwischen brauchbare Chinesisch vom Fahrer partout nicht verstanden wird.

Der Verkehr

Ich weiß noch, wie ich bei unserem ersten Besuch in Peking im Februar 2014 an der Kreuzung vorm Sanlitun Village gestanden und mich gefürchtet habe. Heute stehe ich mit meinem Scooter an deutlich größeren Kreuzungen und bin selbstverständlicher Teil vom Gewusel. Das hat aber tatsächlich Jahre der Gewöhnung gebraucht. Für den Einstieg hatte sich die Regel bewährt:

Vergiss die Ampelfarben. Wir warten bis wir viele sind und schwimmen dann mit dem Pulk.

Mein Gefühl mag mich täuschen, vielleicht hängt es auch mit der Gewöhnung zusammen, aber der Verkehr scheint mir heute weniger chaotisch und weniger laut als vor vier Jahren. Gehupt wird tatsächlich weniger.

Smog

Woran erkennt man in Peking die Neuankömmlinge?

An den Masken.

Bevor wir herkamen, war eine meiner größten Sorgen der Smog. Der Kinder wegen und wegen meines eigenen Hangs zu Atemwegserkrankungen. Die Luftbelastung ist immer noch unanständig hoch, aber meistens hat es für uns keinen Einfluss mehr auf den Alltag. Drinnen sind wir gut mit Luftfiltern ausgestattet. (Allerdings können die auch nerven – wirklich lautlos funktionieren die nicht.)

Und wenn die Werte über 300 steigen, bleiben wir bis auf absolut unvermeidliche Wege drinnen – wenn wir dann doch rausmüssen, tatsächlich nur mit Maske. Die Dinger sind aber so unbequem und lästig, dass wir die bei weniger üblen Werten weglassen. Die Smog-Nebenwirkungen wie Kopfweh, Halsschmerzen… erwischen einen auch mit Maske, so toll ist der Schutz dadurch nämlich auch nicht. Die meisten Leute, die wir kennen, handhaben das ähnlich – jeder findet hier seine persönliche Schwelle, ab wann der Smog einen selbst so belastet, dass man besser drinnen bleibt. Denn das schützt besser als jede Maske.

Tatsächlich ist die Belastung – obwohl immer noch vorhanden – von Jahr zu Jahr weniger geworden. Es gibt immer mehr und öfter Tage, an denen die Luft nicht schlechter als in Deutschland ist (manchmal sogar besser!) Wäre schön, wenn sich das so weiter fortsetzt.

Trotzdem gibt es diese Tage, an denen man aus dem Fenster guckt und sich am liebsten wieder im Bett verkriechen möchte, wenn man kaum bis zur gegenüberliegenden Straßenseite gucken kann und alles in einer grau-braun-gelben Suppe erstickt. Die Auswirkungen auf die physische Gesundheit ist das eine – der Smog kann einen aber auch wirklich trübsinnig werden lassen.

Drinnen und draußen

Seit knapp zwei Monaten leben wir jetzt „drinnen“, mitten in Chaoyang. Von unserem TukTuk haben wir uns trennen müssen, dafür habe ich jetzt einen Scooter (anders als in Deutschland ist das kein eTretroller, sondern ein „eMopped“). Auch wenn mir manchmal der alte Supermarkt am Pinnacle Plaza in Shunyi fehlt, weiß ich inzwischen die Vorteile der vielen verschiedenen Supermärkte, Märkte, kleinen Läden rings um uns herum zu schätzen.  Es ist halt auch wieder ein bisschen (zeit-)aufwendiger, nicht alles an einem Ort erledigen zu können. Jetzt lohnt es sich tatsächlich auch, „mal kurz“ irgendwohin zu gehen/zu fahren, einfach weil die Wege nicht mehr so unangemessen weit sind.

Die Jungs

Ob es am Alter liegt oder am Wohnort: die Jungs sind hier leichter zum Mitkommen zu animieren. Was das ausmacht, dass die lange Fahrt über den Airport Expressway nicht mehr nötig ist!

Ich musste mir abgewöhnen, von „meinen Minis“ zu sprechen. An den beiden ist gar nichts mehr mini, das sind (fast) ausgewachsene Teenager, die es genießen, dass ihr Radius, in dem sie alleine unterwegs sein können, sich deutlich erweitert hat.

Eigentlich sollte man meinen, dass Erziehung/Alltag beim vierten und fünften Kind ein Selbstgänger ist, vor allem, wenn die drei Großen so toll geraten sind (ob nun trotz oder wegen unseres Zutuns). Aber auch ohne Ortswechsel: Jedes Kind ist anders. Und durch das Leben in China gibt es neue und andere Herausforderungen: Das stetige Kommen und Gehen. Wie kann man so tragfähige, langfristige Beziehungen entwickeln? Das chinesische Umfeld – wie lang/wie kurz darf und muss die elterliche Leine sein, wo kann man gefahrlos Freiräume gewähren, wo nicht? Wie beruhigend, dass es auch die gewohnten Themen gibt (z.B. Hausaufgaben)…

Heimweh?

Ich hätte gedacht, dass Heimweh ein größeres Problem für uns wird. Tatsächlich kommt es immer mal wieder vor, und nicht jeder von uns hat es zur selben Zeit. Aber es kommt – und geht dann auch wieder. Manchmal erwischt es einen ganz unvermittelt – so wie mich neulich, als wir hier beim Griechen waren (der vom Interieur auch ein beliebiger Grieche in Hamburg hätte sein können). Das ist fies, wenn einen die Sehnsucht so hinterrücks überfällt. Manchmal baut sich Heimweh häppchenweise auf, bei mir z.B. wenn sich lästige Dinge summieren: morgens noch vor dem erste Kaffee den Trinkwasserkübel wechseln müssen, wenn das Internet dann nur „Du kommst hier nicht rein“ (bzw. raus…) meldet, ein Shop/Restaurant, wo man gerne hingegangen ist, plötzlich geschlossen ist, Dein Lieblingsmüsli im Supermarkt nicht mehr zu haben ist… Für mich ist es dann auch okay, mich mal ein, zwei Tage zu verkriechen, aber spätestens am dritten Tag etwas schönes zu unternehmen.

Das neue Peking-Jahr

Jetzt steht das neue Peking-Jahr vor der Tür. Für die meisten, zumindest die Familien mit schulpflichtigen Kindern, beginnt es im Sommer, kurz vor dem Ferienende. In ein paar Tagen ist der erste Schultag, und der Alltag wird uns wieder einholen.  Was anders wird als vor den Ferien: wir können morgens länger schlafen, und nachmittags ist mehr Freizeit, weil der Schulweg sich so drastisch verkürzt hat. An Tagen mit 9. und 10. Stunde sind die Kinder nicht mehr gut 12 Stunden aus dem Haus. 

Wir freuen uns darauf, bekannte Gesichter wieder zu treffen und neue kennen zu lernen. Ich freue mich auf viele Ausflüge, ob nun solo oder mit Foto- oder Patengruppe. Es gibt so vieles, wo ich wieder hin möchte, und vieles, wo ich noch nicht war. Ich freue mich, auch abends öfter unterwegs zu sein (weil der Grund „eine Stunde Rückfahrt“ weggefallen ist). Wehmütig bin ich, weil es nun schon das dritte Jahr ohne N. und das erste Jahr ohne L. sein wird. Ihr fehlt!

Auftakt: Snow Patrol

Ein erstes Highlight hatte dieses neue Peking-Jahr schon für mich: Snow Patrol haben im Tango gespielt. Eine Location, die hier zwischen Ditanpark und Lama-Tempel liegt, so ähnlich aber auch in Hamburg an der Großen Freiheit zu finden sein könnte.

Snow Patrol in Peking

Gary Lightbody

Das war ein toller Abend, vor allem weil deutlich spürbar war, dass die Jungs auf der Bühne mindestens genauso viel Spaß hatten wie die Leute davor.

Das war ein prima Auftakt für mein neues Peking-Jahr – ich bin gespannt, was noch vor mir liegt.

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3 Kommentare
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N
5 Jahre zuvor

Oh Linni, ich habe diesen Post meinem Sohn in Tränen laut gelesen. Wir auch vermissen euch!

[…] haben, gab es vor Corona in Peking nicht. Für Slash, Myles Kennedy & The Conspirators und für Snow Patrol habe ich eine Karte ergattern können – mehr war nicht. Umso eindrücklicher sind beide […]