Hutongs und Historie
Ich bin wirklich froh, dass Peking so groß ist, denn es gibt für mich immer noch interessante Ecken zu entdecken. Mit der Metro fahre ich bis zur Station Xidan. Diese liegt direkt an der Kreuzung West Chang’an Avenue und Xuanwumen Street. Zur Orientierung: Wenn man die West Chang’an Richtung Osten geht, kommt man nach 2 Kilometern auf den Tiananmen. Es ist also eine der größten und bekanntesten Straßen hier in Peking mit entsprechendem Verkehr, riesigen Malls und sonstigen Baukolossen. Doch gleich um die Ecke liegt ein ruhiges Hutong-Viertel mit einigen Sehenswürdigkeiten, und das wollen wir uns diesmal ansehen.
Uni, Prinzenresidenz und Schule
Als erstes stehen wir vor der früheren Jingshi Woman Normal University in der Xinwenhua Street. Eine der Studentinnen war Liu Hezhen, die beim Massaker am 18. März 1926 getötet wurde. Eine von Li Dazhao angeführte Demonstration eskalierte, 47 Demonstranten starben, über 200 wurden verletzt, einer davon Li Dazhao. Auf letzteren gehe ich weiter unten noch ein.
Während wir hier stehen und schauen, gesellt sich eine alte Dame zu uns. Sie hat hier mal studiert, erzählt sie uns. Wenn das keine Gelegenheit ist, viele Fotos zu machen – ihr Mann kommt ganz schön ins Schwitzen.
Direkt neben der ehemaligen Universität befindet sich die Residenz von Prinz Keqin Jun, die nun eine Grundschule ist.
Shoushuihe Hutong
Dann biegen wir in den Shoushuihe Hutong ein. An einer der Hauswände findet sich sowas wie eine Ahnentafel des Viertels (?). Rechts im Bild der Autor Lu Xun, in der Mitte Zeng Guofan, zweiter von links Li Dazhao.
Schräg gegenüber könnte man sich nett hinsetzen. In diesem Hutong gibt es auch ein Papercut Museum, das an Wochenende geöffnet sein soll. Um es zu finden, muss man aber sehr suchen (mit anderen Worten, wir waren uns nicht sicher, ob es sich um ein normales Wohnhaus oder das Museum handelt).
Wir lassen uns ein bisschen kreuz und quer durch die Hutongs treiben.
Cathedral of the Saviour
Schließlich erblicken wir diese Bruchbude, die sich als unser nächstes Ziel entpuppt: die anglikanische Cathedral of the Saviour.
Ein Wächter passt auf, dass wir uns der Baustelle (die nicht danach aussieht, als würde hier aktuell gearbeitet werden) nicht zu sehr nähern, lässt uns aber auf den Hof, damit wir uns die Front ansehen können. Architektonisch bemerkenswert ist der Mix aus chinesischen und westlichen Baustilen. Wir versuchen später von der Rückseite eine bessere Sicht auf das achteckige chinesische Kirchtürmchen zu bekommen, aber irgendwas verdeckt immer den Blick.
Die Kirche gilt seit 2003 als Cultural Relic Protection Site und auch eine Buchhandlung soll sich darin befinden. Sieht derzeit nicht so aus.
Weiter durch die Hutongs
Was genau der historische Gebäudeteil im Bild unten ist bzw. war, haben wir nicht herausgefunden. In dieser Ecke zwischen Xuanwumen und Tonglinge Road sitzt auch (ein Teil) der Xinhua News Agency.
Auch typisch für Peking. ganze Familien auf einem Scooter.
Auch wenn man sich in den Hutongs leicht verfransen kann – das Super 8 Hotel lässt sich sicher leicht wiederfinden. (Ob es darüberhinaus empfehlenswert ist? Keine Ahnung.)
Naoshikou Street
Wir biegen auf die Naoshikou Street ein – eine breite mehrspurige Hauptstraße. Und doch gibt es hier diesen lauschigen Platz – inklusive Huhn.
Wir wollen zur Residenz von Li Dazhao, stehen aber vor einem verschlossenen Tor. Ich spreche den Wächter an, der uns erklärt, dass der Eingang auf der anderen Seite ist – und dass erst um 14 Uhr geöffnet wird. Trifft sich gut, wir machen – eine für chinesische Verhältnisse späte – Mittagspause und bekommen in einem der zahlreichen Restaurants in der Naoshikou Street hervorragende Nudeln und Gurkensalat.
Gestärkt und runtergekühlt (Klimaanlage lief im Turbomodus) machen wir uns wieder auf in die Hitze, gespannt, ob wir die Residenz nun finden werden.
Die Residenz von Li Dazhao
Wir biegen in den außergewöhnlich gepflegten, hübschen Wenhua Hutong ein, in dem die Residenz von Li Dazhao liegt.
Li Dazhao (1889-1927) ist außerhalb Chinas nahezu unbekannt, aber von großer Bedeutung für die Chinesen. Er gilt als Chinas erster Kommunist. Zusammen mit Chen Duxiu gilt er als Mitbegründer der Kommunistischen Partei Chinas. Auch hatte er großen Einfluss auf Mao.
Zum Weiterlesen: Wikipedia und hier.
Die Residenz ist täglich außer montags von 9-12 und von 14-16:30 geöffnet, der Eintritt ist frei. Wichtig: Pass mitnehmen!
Schon von weitem sehen wir eine Gruppe von etwa 30 Leuten in weißen Hemden und dunklen Hosen bzw. Röcken. Alle mit Parteiabzeichen am Hemd. Pünktlich um 14 Uhr geht das Tor auf. Alle zeigen ihre ID-Karte, wir gucken uns an: beide keinen Pass dabei. Wie so Peking-Anfänger. Ich bin schon dabei zu sagen, dass wir dann halt ein anderes Mal wiederkommen, aber inzwischen sind zwei Uniformierte, die Ticketverkäuferin und eine Besucherin dabei, uns zu helfen.
Zum Glück haben wir Fotos unserer Pässe auf den Handys, dazu ein Blick in meinen chinesischen Führerschein und diktierter Handynummer: Problem gelöst, wir dürfen eintreten.
Auf einmal hören wir, wie im Chor gesprochen wird. Wir eilen um die Ecke und sehen, wie hier wohl ein Eid abgelegt wird (oder etwas Ähnliches).
Im Anschluss wird noch gesungen und natürlich Fotos gemacht – und die Residenz wird auch besichtigt.
Die Ausstellung ist ausschließlich chinesisch beschriftet, aber mit Übersetzungsapps kommt man gut zu Recht. Für einen Besuch sollte man eine halbe Stunde einplanen, wenn man wirklich alles liest/übersetzt vielleicht ein bisschen länger.
Durch die Hutongs zum Sanwei Bookstore
In Peking schneit es ja dauernd, wenn auch nicht unbedingt Schnee. Im Frühling ist es der white cotton fluff (Weidenblüten), jetzt ist der „Schnee“ eher gelb. Wie ich gerade erst gelernt habe, handelt es sich dabei um die Blüten des „Honigbaums“ (= Japanischer Schnurbaum), der bei Pekingern auch als Nationalbaum gilt. Die Blüten sind essbar und finden in der TCM Verwendung. Und sie kleben mächtig…
Wir erreichen unser letztes Ziel für heute, den Sanwei Bookstore. 1988 gegründet, handelt es sich um die älteste private Buchhandlung in Peking. Eigentlich soll der Laden täglich ab 12 Uhr geöffnet sein, aber die Tür ist verschlossen, die Rolläden sind heruntergezogen. Durch eine Ritze sehe ich, wie ein Mann innen das Licht anschaltet, erhasche einen Blick auf symmetrisch angeordnete Buchregale, aber das Geschäft bleibt zu.
Hinter der Buchhandlung ist eine kleine Grünfläche mit einer Taschenuhr und einem Buch. Am 28.7.1937 war der Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke, der Auslöser für den Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg.
Den Text des Buches habe ich noch nicht ganz entziffert, es hat mit General Hao Mengling zu tun, der nach dem Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke seinen vorzeitigen Ruhestand beendete – und unter anderem deshalb getötet wurde, weil er dem Drängen seiner Untergebenen, seine verräterische Generalsuniform gegen eine einfache Uniform tauschen, nicht nach gab.
Bus und Bahn mit zwei Klimazonen ;)
Inzwischen sind wir beide kaputt. Es ist wirklich furchtbar heiß. Meine Freundin geht zur Metro in die eine Richtung, ich zum Bus in die andere, denn ich möchte mit dem Bus Nr. 1 die Chang’an entlang und am Tiananmen und Verbotener Stadt vorbeifahren, da sieht man mehr, hier z.B. den Tiananmen mit dem Mao-Mausoleum.
Allerdings wird der Bus schnell so voll, dass ich es dann doch vorziehe, bei der nächsten Gelegenheit (Jianguomen) in die Metro umzusteigen. Die ist klimatisiert – und sogar unterschiedlich: in der Mitte gemäßigt, vorne und hinten ist es eisig, also lieber in die Mitte. Beim Umsteigen in Guomao muss ich rennen, da lande ich hinten: ja, das ist echt zu kalt. Sehr coole Neuerung (vor einiger Zeit gab es nur eisig, inzwischen sind es immer mehr (alle?) Linien).