Golden Week, das ist die Ferienwoche Anfang Oktober anlässlich des chinesischen Nationalfeiertags. Fast ganz China hat frei, es ist Hauptreisezeit (Wetter ist besser als zur Golden Week zum chinesischen Neujahr). Alle sind unterwegs: entweder touristisch oder um die Familie zu besuchen.
Früher wurde von der „größten Völkerwanderung der Welt“ berichtet und das mit dem Andrang an den Mautstellen illustriert. Aktuell wird trotz der schwierigeren Bedingungen (Testanforderungen, Risikogebiete, eventuelle Quarantäne) trotzdem gereist, aber doch deutlich weniger als vor der Pandemie.
Für Pekinger Familien mit schulpflichtigem Nachwuchs ist das Verlassen Pekings nicht angeraten, denn bevor eine Schule betreten werden darf, müssen alle Haushaltsangehörigen mindestens eine Woche in Peking sein. Also bleiben wir hier und machen Ausflüge innerhalb Pekings.
Flaggenzeremonie am Tiananmen
Jeden morgen exakt zu Sonnenaufgang wird die chinesische Flagge am Tiananmen gehisst, jeden Abend exakt zu Sonnenuntergang wird sie wieder eingeholt. Wir nutzen die Ferien, um uns das auch einmal anzusehen.
Das Ereignis an sich ist denkbar unspektakulär, keine Lautsprecherdurchsagen, keine Musik. Durch das Tor unter dem Mao marschieren Soldaten hinaus, holen die Flagge ein und marschieren wieder zurück.
Sonnenuntergang am Tiananmen
Spektakulär sind die Menschenmassen, die kommen, um sich das anzusehen.
Tiananmen: Große Halle des Volkes
Wir finden einen Platz relativ weit vorne, wenn man die Kamera hoch über den Kopf hält, könnte man vermutlich die „action“ fotografieren.
Aber ganz kurz bevor es soweit ist, haben plötzlich beinah alle ein Kind auf den Schultern, nun sehen wir nix mehr, und gehen dann halt ein Stück zurück, um wenigstens die Fahne zu sehen. Da es nahezu windstill ist, hängt die aber schlaff am Mast runter, also auch nicht so irre beeindruckend.
Fahne noch oben
Fahne halb unten
Spektakulär unspektakulär – zack, vorbei
Ich habe meine chinesische Freundin gefragt, ob nur während der Golden Week so viel hier los ist, aber sie meint, das sei immer so. Ich glaube, das schaue ich mir noch mal an, vielleicht mal morgens früh?
Beijing Eastern Suburbs Forest Wetland Park
Kontrastprogramm: Mit meiner Freundin und ihrer Familie machen wir einen Tagesausflug zum Wetland Park. Das ist noch innerhalb Pekings (schulpflichtige Kinder in beiden Haushalten, siehe oben), meine Freundin hat sich um die Reservierung gekümmert, und wir müssen hier am Eingang nur noch den QR-Code der Health App scannen.
Es ist eine hübsche Parkanlage.
Wir haben ein Picknick dabei und lassen uns am Rand der „Yellow Sands“ auf einer großen Bank nieder, der kleine Sohn unserer Freunde wird hier nun den ganzen Tag zufrieden vor sich hin buddeln.
Das sieht man hier oft in den (großen) Parks: man hat ein Zelt dabei, eine Decke, Klappstühle, reichlich Proviant.
Wir Erwachsenen spazieren abwechselnd durch den Park. Dabei kommen wir auch am „Valentine’s Pier“ vorbei. Der wurde extra so „romantisch“ angelegt: um schöne Fotos zu machen, fürs Dating, zum Feiern…
Natürlich fehlt die übliche Lärmkulisse nicht. Über Lautsprecheranlagen und den (zum Teil motorisierten) Parkwächtern wird nonstop darauf hingewiesen, sich zivilisiert zu verhalten, Abstand zu halten und Maske zu tragen…
Das war wohl für dieses Jahr der letzte Ausflug, bei dem man lange draußen herumsitzen konnte (zumindest ohne warm eingepackt zu sein), übers vergangene Wochenende haben sich die Temperaturen halbiert.
Eigentlich wollte ich mit meiner Freundin am Shichahai spazieren gehen und den Tempel des Feuergottes noch einmal besuchen. Sie war da noch nicht, hätte aber die chinesischen Schilder übersetzen, die Mitarbeiter und Mönche fragen und so mehr erklären können. Weil es morgens aber gewittert hat, haben wir umdisponiert und wollten stattdessen ins Nationalmuseum gehen. Dazu haben uns am Tian’anmen verabredet.
Treffpunkt Metro Tian’anmen Ost
Wie sich herausstellt, hätten wir mindestens einen Tag vorher reservieren müssen. Das ist aber nicht so wild, denn wenn man schon am Tian’anmen ist, gibt es mehr als genug zu tun und zu gucken. Zum Glück macht der Regen Pause.
Rund um den Tian’anmen
Rund um den Tian’anmen stehen fünf bedeutende Gebäude:
im Norden das Tor des Himmlischen Friedens (der Eingang zur Verbotenen Stadt),
im Osten das Nationalmuseum,
im Süden das Mao-Mausoleum und dahinter Zhengyangmen (das größte und prächtigste Stadttor) und
im Westen die Große Halle des Volkes
Auf dem Platz steht dann auch noch das Denkmal für die Helden des Volkes – und nicht zuletzt ist auch das Gewusel und Gewimmel hier unglaublich interessant.
Das Tor des Himmlischen Friedens
Es geht direkt los mit dem Tor des Himmlischen Friedens. Jedes Mal, wenn ich hier bin, überkommt mich ein ganz unwirkliches Gefühl – ich bin wirklich in Peking?!
Tor des Himmlischen Friedens
Wir gehen durch die Sicherheitskontrolle. Hier werden die chinesischen ID-Cards automatisch gescannt, ausländische Pässe müssen von Hand gecheckt werden. Aber anstatt wie meistens meinen Pass nur vorzuzeigen und durchgewunken zu werden, werde ich gefragt, warum ich in Peking bin und wie lange schon. Letztendlich stellt sich heraus, dass der Sicherheitsbeamte wissen wollte, ob ich Diplomatin sei. Seltsam, sonst wird eher nach Journalisten gefragt. Ob das was mit dem Fall des an Covid-19 erkrankten Diplomaten zu tun hat, der nicht weit von hier im Legendale abgestiegen war (das Hotel ist nun unter „closed management“)? Naja, ist ja auch egal, wir sind auf dem Platz.
Mao-Mausoleum, dahinter Zhengyangmen und Bogenschützenturm
Wir schlendern erst einmal über den Platz, der mich nicht nur wegen seiner Größe („größter befestigter Platz der Welt“) beeindruckt.
Auf dem Tian’anmen
Die Deko anlässlich der 100-Jahr-KP-Feierlichkeiten steht noch.
Große Halle des Volkes und Denkmal für die Helden des Volkes
Das Nationalmuseum
Der Eingang des Nationalmuseums war früher hier von der Platz-Seite aus. Jetzt ist er nach vorne zur Chang’an Avenue (zurück-?)verlegt worden. Das ist dichter an der U-Bahn und noch vor dem Sicherheitscheck am Tian’anmen, also etwas praktischer.
Nationalmuseum
Das Denkmal für die Helden des Volkes
Meine Freundin erzählt, dass sie als kleines Kind einem Missverständnis aufgesessen ist und geglaubt habe, dass unten in dem Denkmal die Soldaten wohnen würden. Damals hätte sie vergeblich nach Fenstern und Türen gesucht. Heute kommt man nicht mehr so dicht dran, aber das Missverständnis hat sich inzwischen ja auch aufgeklärt.
Denkmal für die Helden des Volkes
Volksfeststimmung
Auf dem Platz ist richtig viel Trubel. Familien, Paare, kleine und große Reisegruppen sind hier unterwegs. Manche warten hier auf ihre Begleitung, denn in das Mao-Mausoleum darf man keine Taschen, Schirme, Kameras, Gepäck mitnehmen – nur Handy und ID-Card/Pass sind erlaubt.
Trubel auf dem Tian’anmen
Trubel auf dem Tian’anmen
Die große Halle des Volkes
Auf die große Halle des Volkes werfen wir nur einen kurzen Blick.
Denkmal und große Halle des Volkes
Mao-Mausoleum
Meine Freundin fragt mich, ob ich Mao schon mal gesehen habe. Nein, habe ich nicht. Sie zückt ihr Handy, scannt den QR-Code, der an der Absperrung zum Mausoleum hängt, hält mir das Handy hin, damit ich meinen Namen und meine Passnummer eingebe – und zack, haben wir einen Besucherslot von 10-11 Uhr gebucht. Das kam jetzt überraschend.
Aufwendige Sicherheitsmaßnahmen
Wir überqueren die Straße, gehen am Nationalmuseum vorbei zu einem weiteren großen Gebäude, wo man seine Habseligkeiten abgeben kann – wie gesagt, ins Mausoleum darf man nichts mit hineinnehmen. Die Schlange hier ist sehr lang, oben auf der Treppe steht ein Mann und brüllt seine Anweisungen in ein Megaphon: Keine Taschen! Keine Schirme! Alles hier abgeben! Es werden immer große Gruppen von Leuten hineingelassen, und es scheint ewig zu dauern. Das kriegen wir bis 11 Uhr nicht mehr hin. Wir beschließen, es so zu machen, wie viele der anderen Leute auch: wir gehen abwechselnd ins Mausoleum.
Meine Freundin sagt, ich soll zuerst gehen, sie wäre ja schon mal da gewesen, nimmt mir meine Tasche ab und drückt mir ihr Handy in die Hand (weil sie damit unseren Slot gebucht hat). Und schon passiere ich eine erste Einlasskontrolle, bei dem wohl nur geguckt wird, dass man wirklich nichts weiter dabei hat. Durch viele Absperrgitter schlängelt sich der Weg zum Mausoleum, es geht aber zügig voran.
Dann kommt eine Sicherheitskontrolle, wo QR-Code und Pass gecheckt werden, nach dem Scanner werde ich noch mal von Hand abgetastet und darf weitergehen.
Nelken für Mao
Unmittelbar hinter der Sicherheitskontrolle steht eine kleine Verkaufsbude, wo man in Plastikfolie verpackte weiße Nelken für 3 Kuai/Stück kaufen kann. Das tun viele der chinesischen Besucher. Ich bin überhaupt die einzige Langnase weit und breit. Der Weg schlängelt sich weiter, an weiteren Nelkenbuden vorbei. Vor den Stufen zum Gebäude stockt es schließlich, hier wird der Einlass der Menschen genau getimed.
Und dann geht es so schnell, dass ich jetzt schon beschließe, dass ich den Besuch hier wiederholen muss.
Wächter machen das wohl überall auf der Welt verständliche „Psst!“-Zeichen und legen den Finger auf den Mund. Fotografieren ist strengstens verboten!
Nach der Eingangstreppe landet man in einem großen Vorraum, in der eine großen Mao-Statue steht. Die weißen Nelken werden Soldaten in die Hand gedrückt, die sie ordentlich auf und um ein Podest vor der Statue stapeln. Aber bitte nicht stehen bleiben, gleich weitergehen.
Da liegt er
Die Schlange teilt sich hier und wird nun links bzw. rechts an der Statue vorbei in den nächsten Raum geschleust: Maos Grabkammer, wo er in seinem Kristallsarg liegt. Eigentlich wollte Mao selbst kremiert werden, aber nun liegt er seit 45 Jahren hier, sieht aus wie eine Wachsfigur (wenn es denn wirklich seine Leiche ist, Gerüchte stellen das infrage). Das wächserne Gesicht leuchtet orange, ich sehe allerdings keine Lampe, die ihn anstrahlt, was das ganze noch surrealer macht.
Alle werden langsamer, während sie schauen. Bei nicht wenigen fließen Tränen. Ich werde wohl zu langsam, ein Wächter winkt und ich beschleunige meinen Schritt. In einem kleineren Raum fließen beide Besucherströme wieder zusammen und dann geht es auch direkt hinaus und man steht auf dem Platz vor dem Zhengyangmen. Hier könnte man sich noch mit Souvernirs eindecken, ich passe.
Rückseite/Ausgang des Mao-Mausoleums in Peking
Ich eile zurück zum Eingangsbereich, fliegender Wechsel. Wir machen nur noch schnell aus, dass wir uns am Ausgang wieder treffen.
Später erzählt meine Freundin mir, dass viele Chinesen aus der Provinz ihr Leben lang sparen, um nach Peking reisen und Mao sehen zu können. Ich hatte den Besuch hier bisher nicht auf der Liste, u.a. auch weil mich die langen Schlangen abgeschreckt haben. Doch obwohl es eine solche Menschenmenge ist, die hier Tag für Tag (außer montags, grins) durchgeschleust wird, geht es erstaunlich schnell. An keinem Punkt (außer an dem „Taschengebäude“) steht man sich die Beine in den Bauch, es geht immer voran. Tatsächlich war es völlig unabhängig davon, wie man zu Mao steht, eine interessante Erfahrung: das Prozedere, die Leute und deren Reaktion.
Zhengyangmen
Zhengyangmen (auch Qianmen) ist das Haupttor und das größte und prächtigste aller Pekinger Stadttore. Hier gibt es auch ein Stadttor-Museum, dass wir uns heute aber nicht mehr ansehen. Stattdessen gehen wir in einem Hutong abseits der Qianmen Street zum Mittagessen.
Pläne machen ist gut, Pläne umschmeißen wie man sieht aber auch. Ich bin direkt dankbar für das Gewitter am Morgen, das den Anstoß für die Planänderung gegeben hat.
https://ombidombi.de/wp-content/uploads/2021/07/mao_featured.jpg6301500Linnihttps://ombidombi.de/wp-content/uploads/2018/10/1logo.pngLinni2021-07-29 21:27:012021-07-29 21:44:00Mao statt Museum – ein Vormittag in Peking
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