Novembergedanken
In diesem Beitrag:
Novembergedanken – ich hasse den November. Jedes Jahr mehr. Dieser Monat steht für mich für Tod und Verfall, Trübsinn, Kälte, es wird dunkel. Die Farben verschwinden, alles ist grau. Wenn sich das hier dann auch noch mit Smog und Nebel mischt, kostet es wirklich Kraft, dass sich das viele Grau nicht auf die Seele legt. Aber auch, wenn es mich mehr Überwindung als an einem schönen Sommertag kostet, rauszugehen und etwas zu unternehmen, ich mache es – zum Glück gibt es hier genug zu tun. Und manchmal wird es dann doch bunt, und das tut gut.
Corona-Kacke
Hier in Peking war große Aufregung, nachdem Reisende (!) die Seuche mit nach Peking gebracht haben. Die Gerüchteküche brodelte, es gäbe auch zwei Fälle in Chaoyang (der Stadtbezirk, in dem wir wohnen, Schule und Arbeit sind etc.). Die ließen sich auch auf das Changping-Cluster zurückführen (wenn es nur eine Hand voll Fälle gibt plus App, dann klappt es auch mit der Nachverfolgung, soll ja beim Eindämmen helfen…). Jedenfalls wurde die Maßnahmen wieder etwas hochgefahren (Kapazitätseinschränkungen, in Parks z.B. nur 75% der üblichen Besucher; Temperaturkontrollen wurden wieder genauer durchgeführt, …). Die Nervosität war spürbar – und die Erleichterung, dass wir jetzt zwei Tage ohne weitere Infektion hatten, ist groß.
Tests in der Schule
Auch alle Schüler:innen, Lehrer:innen und sonstige Mitarbeiter:innen der Schule mussten sich testen lassen. Zum Glück alle negativ, puh! Die Schule war klasse, hat innerhalb weniger Tage organisiert, dass in der Schule getestet werden konnte, was uns weitere Wege und Hickhack mit der Sprachbarriere erspart hat. Heute war der zweite Tag ohne weitere Infektion, der Counter darf jetzt gerne wieder schön hoch zählen!
Frust beim Blick nach Deutschland
Für die deutsche (Seuchen-)Politik fehlt mir gerade jedes Verständnis, trotz Impfung so hohe Zahlen wie nie, und gleichzeitig Lockerungen, das ist so unfassbar ignorant. Ohne es auszusprechen ist es jetzt wohl okay, Leute erkranken und sterben zu lassen, damit die Mehrheit „normal“ leben kann? Finde ich verachtenswert. – Und ja, ich weiß, dass ich da vielleicht auch ein bisschen unter chinesischem Stockholmsyndrom (nur im Bezug auf Covid-19!)! leide, aber es gäbe durchaus kluge Wege zwischen beiden Extremen. Bei so vielen Toten wie in Deutschland zu sagen, man hätte es gut gemacht (nur weil andere Länder noch schlechter da stehen), davon krieg ich Pickel…. Naja, lassen wir das, nicht aufregen…
Ich will und muss im kommenden Sommer nach Deutschland – nicht nur, weil es dann drei Jahre gewesen sein werden, dass wir nicht dort waren, weil wir Familie und Freunde vermissen, weil wir Deutsche sind, die vorübergehend in China leben (auch wenn für längere Zeit) und den Anschluss nicht verlieren wollen – und weil eine Hochzeit ansteht!
Abgesehen vom übergeordneten Interesse (es ist ein Armutszeugnis für ein entwickeltes, reiches Land, so viele Menschen an einer eingrenzbaren (!) Seuche sterben zu lassen) habe ich also auch ein ganz egoistisches Interesse daran, dass Deutschland (und die Welt) zu Potte kommt.
Abschied von der Ayi
Nach über sechs Jahren mussten wir uns von unserer Ayi verabschieden, die zurück in ihre Heimat gegangen ist. Ihre Gesundheit ist angeschlagen, bliebe sie in Peking, müsste sie alle Behandlungskosten selbst zahlen. Sie weiß nicht, wie lange es dauert, aber irgendwann will sie zurück nach Peking.
Sie fehlt mir sehr, gar nicht mal so sehr wegen der lästigen Hausarbeit, viel mehr weil sie von Anfang an bei uns war, weil sie mir mit so vielem helfen konnte (nicht nur übersetzen) und mir so vieles erklärt hat. Sie war eine der wenigen Konstanten hier, mehr Freundin/Familienmitglied als Angestellte – und nun ist sie weg. Seufz. Wir haben weiterhin Kontakt über WeChat, aber das ist halt nicht das Gleiche.
Herbst in Peking
Viele Ausflüge und Aktivitäten der letzten Zeit standen unter dem Motto „Herbst“.
Duftberge
Okay, das war noch im Oktober, aber wir wollen mal nicht so kleinlich sein… ;) Mit der Fotogruppe ging es in die Duftberge. Da waren wir allerdings zu früh dran, das Laub war noch überwiegend grün. Trotzdem war es ein wunderschöner Tag, noch recht warm, strahlender Sonnenschein und gute Luft, d.h. gute Sicht auf die Stadt.
Ditan-Park
Eigentlich wollten wir Anfang der Woche zum Sommerpalast, aber der Tag war so verregnet, dass wir die Pläne geändert haben und uns zum Ditan-Park aufgemacht haben. Den Regen haben wir in einem Café in der Nähe ausgesessen. Wir hatten Glück, es wurde tatsächlich trockener. Also Ginkgo im Park. Das leuchtende Gelb macht schon gute Laune. Und ebenso macht es gute Laune, wenn man die Pekinger im Park beobachtet. Nicht nur die Musiker, Sportler, Tänzerinnen, sondern auch die vielen, die sich selbst in Szene setzen und so lange fotografieren, bis das perfekte Bild im Kasten ist.
Wangjing-Soho
Mit der Fotogruppe waren wir gestern Abend unterwegs, um das Wangjing-Soho einzufangen. Eigentlich war es ein Abend zum Zuhause einigeln: kalt, irgendwie feucht und Smog. Trotzdem hat niemand abgesagt und es wurde ein richtig schöner Abend.
Wie das Galaxy Soho, das Leeza Soho (und der neue Flughafen Daxing) von Zaha Hadid entworfen, ist das Wangjing Soho ein Hingucker in der Stadt. Früher habe ich gerne „Architektur“ fotografiert. Und bitte bloß keine störenden Menschen dabei… Hält still, kommentiert nicht, ich kann mir Zeit lassen… Und gestern Abend habe ich gemerkt, dass ich es inzwischen deutlich spannender finde, wenn ich Menschen mit auf dem Bild habe. Trotzdem, auch dies „kleine“ Soho ist ein echter Hingucker.
Mein eigentliches Bild des Abends entstand aber erst auf dem Rückweg. Ein Mann sitzt an einer Straßenkreuzung und verbrennt Papierbündel, zum Teil scheinen es überdimensionierte 100-RMB-Scheine zu sein. Es scheint etwas mit dem Daoismus und Höllengeld/Goldpapier/Geistergeld/joss paper zu tun zu haben. Üblich ist das eigentlich vor allem zum Geisterfest (August-Vollmond), aber gestern saßen an einigen Ecken Männer, die diese kleinen Feuer anhatten. Mal sehen, ob ich noch mehr darüber herausfinden kann.
Abschalten bei Konfuzius
Heute war auch wieder so ein eklig-grauer Tag. Bunt wurde es trotzdem: beim Stricktreff im überaus netten Café Zarah. Auf dem Rückweg habe ich mich erst durch die Hutongs hinterm Glockenturm treiben lassen, bin ein Stück am Ring entlang getuckert, wo dann dieser Lauchhändler stand.
Gegenüber vom Lama-Tempel (derzeit geschlossen) habe ich den Scooter abgestellt und bin zu Fuß weiter, fand mich vor dem Konfuzius-Tempel wieder, den ich spontan besuchen wollte. Ticket musste per App gebucht werden, ich war kurz vor dem Aufgeben, aber mit Hilfe zahlreicher (!!!) Chinesen hat es dann doch geklappt. Der Trick hierbei war, dass das Ticket nur gebucht, aber am Schalter bezahlt wird. „Schön“, dass alles und jedes hier seine eigene App hat, auch wenn ich die nötigsten Dinge (Pass, Passnummer, Telefonnummer, Name etc.) lesen kann, irgendworan scheitere ich dann doch immer… Als ich dann aber endlich mein Ticket hatte und die Sicherheitskontrolle hinter mir gelassen habe – plopp, Stress ist abgefallen. Der Konfuzius-Tempel mit seiner langen Geschichte, den vielen schönen alten Bäumen, der hat diese Wirkung auf mich. Ganz in Ruhe habe ich mich treiben lassen.
Mit mir selbst im Reinen habe ich mich dann auf den Heimweg gemacht. Vielleicht wird dieser November doch nicht so blöd wie befürchtet!
Hallo Lin!
Ich bin eher ein Sommerkind (der Frühling ist zwar schön, aber nicht unbedingt mit Heuschnupfen, und kühl ist es auch noch; der Herbst ist bunt, aber auch schon kühler; der Winter kann toll sein, ist aber kalt). Für mich ist der Februar der Monat, den ich am wenigsten mag: Kalt, oft mit Schnee, keine Feiertage, noch dunkel,… Im November kann man sich abends, wenn es schon dunkel ist, in eine Decke einmummeln und sich an einer heißen Tasse Tee wärmen. Ein gutes Buch oder ein Film sind da gute Begleiter sowie die Vorfreude auf die Adventszeit.
Es sind wieder mal sehr schöne Bilder geworden, besonders die schwarz-weiß Bilder vom Wangjing Soho sind toll geworden!
Das Gesundheitsystem in Peking scheint ja spannend zu sein, wenn man im selben Land nur in seiner Heimatstadt Krankheitskosten ersetzt bekommt. Hoffentlich geht es Eurer Ayi bald besser und Ihr könnt Kontakt halten und Euch vielleicht mal besuchen. Für die Kinder war es sicher auch nicht leicht, sie gehen lassen zu müssen.
Hier liest man ja, daß man in China Lebensmittelvorräte anlegen solle. Was da wohl dahintersteckt?
Die Corona-Politik verstehen tatsächlich die wenigsten hier bei uns, denke ich mal, und auch mir ist schleierhaft, wie man hier das Virus in den Griff kriegen will. Abwarten und Abstand halten.
Danke auf jeden Fall für den interessanten Bericht!
LG,
Timoleon.
Hallo Timo!
Über Vorlieben und Abneigungen lässt es sich prima streiten (Februar ist besser als November weil a) kürzer und b) der Winter so langsam zu ende geht. ;) Aber Sommerkind bin ich definitiv auch.
Es ist nicht nur das Gesundheits-, sondern das komplette Sozialsystem basiert auf dem Hukou-System (Wohnsitzkontrollsystem).
Der Aufruf, Vorräte anzulegen, ist kurz darauf wieder relativiert worden. In meinem Alltag lässt sich da auch keine Änderung feststellen: Supermarktregale voll, nicht mehr oder weniger Kunden als sonst auch, online auch alles mit normalen Lieferzeiten. Schau’n wir mal, denn das Hochwasser im Sommer hat für Ernteausfälle gesorgt.
LG Lin
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