Schnipsel Nr. 19

Alltagsbeobachtungen, Anekdoten, Gedanken, die in wenigen Zeilen erzählt sind oder mit einem Bild ausgedrückt werden können – das sind meine “Schnipsel”. 

Krieg in Europa

Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.
John F. Kennedy

Wir sind in China, da gibt es keine Anti-Kriegs-Demonstrationen, Mahnwachen für den Frieden oder Ähnliches. Aber manche Botschaften zeigen Flagge.

Hier die Botschaften von Estland und Island (Island ist Untermieter bei den Esten).

Die Französische Botschaft hat keine Flagge gehisst, aber ein Transparent aufgehängt.

Bei den Kanadiern gibt es diese Bildschirme. Gegenüber ist die deutsche Botschaft, da war als ich dran vorbeigefahren bin noch nichts, inzwischen soll dort aber auch die ukrainische Flagge wehen.

Und wenn man dann so durch die Stadt geht, fällt einem auf einmal ständig diese Farbkombination auf: beispielsweise die Uniform von Lieferanten oder Busse. Oder hier das Metro-Schild.

Ich hoffe so sehr auf ein baldiges Ende dieses Krieges ohne weitere Eskalation, fürchte aber sehr, dass diese Hoffnung nicht erfüllt wird. Es fällt schwer, in diesen Zeiten den Optimismus nicht zu verlieren.

SMS. Und noch eine.

Ich bekomme hier dauernd SMS. Okay, technisch gesehen dürfte manche „SMS“ eher unter „Broadcast“ fallen (Sturmwarnungen z.B., wir erinnern uns an die Überschwemmungen im vergangenen Jahr…). Jedenfalls gehen ständig kurze Nachrichten ein. Manche sind direkt an mich gerichtet wie die von Lieferdiensten: „Ihr Baby ist unterwegs, verfolgen Sie hier den Live-Standort *link*“ (übersetzt mit Google-translate). Oder ich (und alle anderen Kund:innen von China Unicom) werde davon in Kenntnis gesetzt, dass Herr Wang irgendeine Medaille im Dienste des Volkes erhalten hat und wir uns alle ein Beispiel an ihm nehmen sollen.
So ähnlich wie dies hier: „Sozialhilfe-SMS: Die Zentrale Propagandabteilung verlieh der Gruppe der Fluglehrer für Trägerflugzeuge auf einem Stützpunkt der Naval Aviation University den Titel „Model of the Times“ und lobte sie als „kämpfendes Team, das Menschen für den Krieg erzieht“, und forderte die gesamte Gesellschaft auf, von ihnen zu lernen.“ (vom 21. Dezember 2021, heute im Übersetzungs-Verlauf gesehen und irgendwie gruselig).

Superstau. Auf den Straßen und im Netz.

In den letzten Tagen wurde ich per SMS nachdrücklich darauf hingewiesen, dass heute nicht nur die „Two Sessions“, sondern auch die Paralympics beginnen. Straßensperrungen im Anmarsch! Besser zuhause bleiben, Stoßzeiten vermeiden, Bahn benutzen, Ringstraßen und Expressways vermeiden etc. Kratzt mich mit Scooter ja nicht besonders, aber als ich vorhin von einer Verabredung mit Freundinnen zurückgetuckert bin, hab ich doch geschluckt, der Rückstau von der Auffahrt zum vierten Ring reichte fast bis zum dritten Ring. Ups. Das war schon rekordverdächtig. Zum ersten Mal in fast sieben Jahren gab es dann auch eine SMS: „Aufgrund der Verkehrsverhältnisse verspätet sich die Lieferung ihres Babys um einen Tag.“

Apropos Two Sessions. Der Stau betrifft mal wieder auch die Datenautobahn, besonders die Tunnel sind verstopft…

Und Paralympics: noch ist Olympia sichtbar in der Stadt – und wird auch weiterhin gerne geknipst:

Sandsturm und Sandkasten im Auge

Heute war außer dem Megastau auch vormittags noch ordentlich Wind. Sandiger Wind. Sehr sandiger, sehr stürmischer Wind – der erste Sandsturm in diesem Frühling. Mir ist mit viel Getöse das Badezimmerfenster entgegen gekommen, nun kennt es erstmal nur noch „kipp“ oder „auf“, aber nicht mehr „zu“ – was lästig ist, da es nachts schon noch sehr kalt ist. Aber unser Vermieter ist super, das sollte schnell wieder in Ordnung sein.

Sandsturm hin oder her bin ich zu einer Verabredung mit Freundinnen getuckert. Für tränende Augen ist aber nicht nur der Sand verantwortlich.

Vor einem Monat ist ein guter Freund nach knapp einem Jahr fieser, unheilbarer Krankheit gestorben, gestern war die Beerdigung, und es ist schwer. Schwer, dass wir uns nicht persönlich verabschieden konnten, schwer, dass ich meiner Freundin nicht direkt beistehen konnte und kann. Wegen der Pandemie war und ist eine Deutschlandreise derzeit für mich nicht drin.
Kann man „normalerweise“, wenn die Worte fehlen, trotzdem da sein, nichts sagen und nur in den Arm nehmen, praktisch helfen, das geht jetzt alles nicht. Und auch wenn meine Freundin und ich uns so gut und so lange kennen, dass auch mal ein „schräger Satz“ nicht schlimm wäre, die Angst, etwas Falsches zu sagen oder einen ungünstigen Moment zu erwischen, ist trotzdem da. Aber selbst „falsch“ ist immer noch besser als „nichts“. Abtauchen und Schweigen ist keine Option. Ich hoffe nur, ich finde möglichst immer die richtigen Worte und „falsch/dummes Timing“ kommt nicht (oder nur selten und wenn, dann nicht nachhaltig verletzend) vor.

Und trotzdem…

… ich will mir meinen Optimismus nicht nehmen lassen.

Ich hoffe so sehr, dass die Katastrophen Pandemie und Krieg (übrigens nicht nur der in der Ukraine…) ein rasches Ende finden und dass die Klimakatastrophe noch abgewendet werden kann. Dass die Hoffnungen nicht unbedingt nach dem  „Ende der Geschichte“, aber doch nach weltweitem Frieden (nicht nur der Abwesenheit von Krieg, wobei ja sogar das ein Fortschritt wäre) und dem Ende von Hunger und Armut sich doch noch erfüllen. Ich hoffe immer noch, dass sich Vernunft, Verstand und anständige Haltung gegenüber Mittelalterglauben, Quer“denker“idiotentum, Egomanen etc. durchsetzen. Langfristig wird unser kleiner blauer Planet nur für Menschen lebenswert fortbestehen können, wenn wir weg von lokalem Denken zum „großen Ganzen“ kommen. Ich habe immer noch Hoffnung, dass das gelingen kann, auch wenn die letzten Tage, Wochen, Monate und Jahre eher das Gegenteil zeigen…

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