Durchhalten
In diesem Beitrag:
Wir gehen jetzt in die vierte Woche des virusbedingten Ausnahmezustands, und es ist kein Ende absehbar. Die Schule wird frühestens am 2.3. wieder starten, allerdings haben die chinesischen Behörden gerade verkündet, dass es aktuell zu früh sei, einen Termin für die Wiedereröffnung der Schulen zu nennen – die Eindämmung der Epidemie habe Vorrang. Sehe ich ein. Auch dass der Volkskongress jetzt vertagt wurde (wäre am 5. März losgegangen), dämpft die Hoffnung, dass sich das Leben bald normalisieren könnte. Also weiter abwarten.
Inzwischen haben wir uns in unserem mehr oder weniger freiwilligen „Wohnungsknast“ ganz gut eingerichtet. Die Jungs lasse ich weiterhin nicht vor die Tür, außerdem lasse ich sie derzeit nicht alleine, ein Elternteil bleibt immer mit ihnen zuhause. Normalerweise unnötig, sind ja keine Babys mehr. Aber jetzt plagen mich so Horrorvisionen, dass die Zwei mit ganz viel Pech allein auf sich gestellt sein könnten, weil wir nicht mehr in den Compound zurück gelassen werden oder ich irgendwo niesen muss und in eine Klinik zur Beobachtung gesteckt werden könnte. Klingt übervorsichtig und absurd? Tja, vor vier Wochen klang es auch noch absurd, beim Betreten eines Supermarktes erstmal Fieber messen zu lassen.
Nach dem fiesen Smog vor ein paar Tagen hatten wir jetzt knapp drei Tage unglaublich gute Luft mit klarer Sicht. Das hat die Laune auch etwas gehoben.
Kein Tor zur Welt
Um das ganze noch nerviger zu machen, ist das Internet aktuell sehr fragil, das Tor zur freien Welt ist zu – und das ausgerechnet jetzt, wo man gerne jedem WeChat-Gerücht auf den Grund gehen würde und bei manchem noch zugänglichen Zeitungsbericht gerne weiter nachforschen würde. Keine Tagesschau, keine New York Times, kein Wikipedia, Netflix, Youtube, Facebook, Google, Twitter, Pinterest – nix, nada, niente. Unser Anbieter schwächelt zum ersten Mal seit wir in China sind, andere laufen diesmal besser. Zum Glück funktioniert die TV Box, und auf einem taiwaneschen „Hollywood“-Sender laufen die beklopptesten Katastrophenfilmchen, die man sich nur wünschen kann. Ich würde ja gerne jetzt selbst was drehen, die Kulisse ist vor der Tür, aber noch habe ich die Junioren nicht davon überzeugen können. Statt Blair Witch vielleicht Beijing Beast… ?
Und sonst? Peking und Covid-19
- Compounds/Nachbarschaften halten es sehr unterschiedlich mit ihren Zugangskontrollen. Wir haben zusätzliche personalisierte
PappkartenAusweise bekommen, ohne die wir theoretisch nicht raus oder rein dürfen. Der Mann wurde gestern streng kontrolliert, ich wurde heute einfach durchgewunken. - Wer jetzt nach Peking zurückkehrt, muss 2 Wochen in „Selbst-Quarantäne“, vor der Rückkehr sind Compound und Arbeitgeber zu informieren. Die Umsetzung wird von Compound zu Compound sehr unterschiedlich gehandhabt, es heißt, in manchen Apartmenthäusern dürften Peking-Rückkehrer ihre Wohnungen nicht verlassen (Versorgung wird dort durch den Compound unterstützt, Lieferungen bis an die Wohnungstür gebracht).
- Parks sind weiterhin geöffnet, nur Bereiche, in denen es sich sonst ballt, sind gesperrt, so auch die Wege direkt an den Seen. Der Zoo ist geschlossen (aber den kann ich eh nicht empfehlen).
- Sherpa’s (Lieferdienst, dessen App auch auf Englisch verfügbar ist) hat seinen Betrieb wieder aufgenommen, auch wenn viele Restaurants weiterhin geschlossen sind.
- Für die Schule und deutsche und chinesische Behörden haben wir dieses Woche zum zweiten Mal eine Onlineumfrage ausgefüllt. Ja, wir sind in Peking, die Kinder haben kein Fieber und sind auch sonst gesund.
Kontrollrunde
Heute war ich mal dran mit rausgehen. Erstmal Einkaufen. Hieß es, die Versorgung in Peking sei beeinträchtigt? Sieht nicht so aus:
Und weil einer der Jungs in Geschichte gerade die Französische Revolution durch nimmt: Kuchen gibt es auch:
Auch nachmittags zieht es mich noch mal raus. Ich schwinge mich auf den Scooter, fahre erst an der Schule, dann an der Deutschen Botschaft vorbei. Die Straßen sind zwar voller als letzte Woche, aber es wirkt immer noch wie eine deutsche Kleinstadt am Karfreitag… Trotzdem, mir wird bewusst, dass ich mich schon daran gewöhnt habe, dass a) wenig los ist und b) alle Leute Masken tragen. Ich fahre weiter am Dongzhimen-Kreisverkehr vorbei, wo ich nicht einmal anhalten muss, weil – ja, nichts los halt.
Ich biege in die Yonghegong Straße ein. Der Lama-Tempel ist weiterhin geschlossen, sonst tobt hier um diese Zeit der Bär, es stauen sich Touribusse und der übliche Verkehr. Heute sah es so aus:
Auch hier überall Sperren, von Hutong zu Hutong unterschiedlich ausgeprägt, hier relativ lässig. Anderswo gibt es Gitterzäune oder ähnliches.
Hinter dem Lama-Tempel biege ich in die Andingmen ein, fahre an der Ausländerbehörde vorbei, um dann den 2. Ring zu überqueren – zum ersten Mal nutze ich mit dem Scooter eine der Fußgänger/Bike-Brücken.
Auf Nebenstraßen fahre ich zurück in unser Wohnviertel, mache noch einen Stopp beim chinesischen Supermarkt. Hier muss ich mein Handgelenk entblößen zum Fiebermessen. Ich betrete den Laden und fall‘ vom Glauben ab: proppevoll, Gedrängel ohne Ende. Auch hier volle Regale. Und wenn man von den Masken absieht: wirkt total normal.
Auf dem Rückweg fahre ich dann einmal um unseren Compound herum, weil es hieß, Zugang derzeit nur durch den Südeingang. Dort öffnet mir ein Wächter das Tor und winkt mich so durch.
Wir haben uns also mit den erschwerten Bedingungen hier arrangiert, es geht uns gut und rein rational fühlen wir uns auch weiterhin sicher und gut aufgehoben hier. Trotzdem, ich wäre jetzt bereit für den normalen Peking-Alltag.
Liebe Linni,
es ist gut, von Dir zu hören! Schön, dass Du den Kopf nicht hängen lässt! Hier in Deutschland fokussieren die deutschen Medien sehr darauf, dass die Zahl der Toten auf über 2.000 gestiegen ist. Dass die Zahl der Neuinfektionen stetig zurück geht, wird dabei geflissentlich übersehen. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass vor allem auch Chinesen in Deutschland selbst gerne Verschwörungstheorien und Horrormeldungen verbreiten. Dass ausgerechnet Chinesen hier in Hamburg nicht ins China-Restaurant gehen mögen aus Angst vor Ansteckung, hat mich sehr schockiert.
Schade, dass Du bei dem schönen Wetter nicht auf Besichtigungstour gehen kannst!
Ich drücke die Daumen, dass es bald wieder besser wird!
Liebe Grüße
Ulrike